„Diana“ lockt mit angeblich kostenfreien Pornos, ein unbekanntes Finanzinstitut wirbt für fragwürdige Transaktionen, Web-Shops bieten dubiose Wundermittel feil. Sie versprechen schnelles Geld oder rezeptfreie Potenzmittel. Fast täglich flutet solch unerwünschter Werbemüll in meinen E-Mail-Postkasten. Lästig wie Mückenplagen. „Spam Mails“ nennen Onliner diese Reklame-Schreiben, nach einem Sketch der Komiker-Truppe Monty Python. Die Briten bezeichneten mit dieser Abkürzung für „Spiced Ham“ ein allgegenwärtiges Frühstücksfleisch in Dosen. Unappetitlich und omnipräsent wie die postfachverstopfenden E-Sendungen. Der Online-Dienst AOL blockt eine Milliarde davon am Tag – und trotzdem rutscht immer wieder was durch.

 

Eine spannende – und immer noch aktuelle – Reportage, erschienen 2004 in der Zeitschrift ‘Tomorrow’.

Ich selbst unter Verdacht  – wie geht das?

Bisher war Spam für mich eine üble Begleiterscheinung des Online-Lebens. Mit Hilfe von E-Mail-Filterprogrammen versuchte ich, ihr beizukommen. In meiner Freizeit fahndete ich nach den Urhebern des Werbe-Mülls. Ich meldete sie an die Online-Anbieter, bei denen die beworbenen Seiten lagern oder über deren Rechner die Spammer ihre Mails schickten. Denn niemand mag Spam, nur zu gern schalten Provider die dafür genutzten Adressen oder Internet-Seiten ab.

Doch plötzlich kam ich selbst in den Verdacht, „Spammer“ zu dulden. Unter der Adresse meines „Internet-Grundstücks“, der Domain „Telemat.de“, landete Mail-Müll in den E-Mail-Boxen ahnungsloser Internet-Nutzer. Getarnt als Antwort auf eine Kontaktanzeige. Abgesendet angeblich von britta-rudolf@telemat.de, britta-jauss@telemat.de oder dieter-meher@telemat.de

Pikant: Telemat.de ist eigentlich ein Online-Magazin für Internet-Freaks, das sich auch mit E-Mail-Spam beschäftigt.

Tag 1
Heute schlägt der Spammer zu. Am Nachmittag bin ich noch ahnungslos. In meinem E-Mail-Postkasten finde ich die böse Beschwerde-E-Mail eines mir unbekannten Onliners. Er schreibt: „Ich verzichte gern auf solche unerwünschten Spam-Mails!“. Das Objekt seiner Empörung hat er an die E-Mail angeheftet: An ihn gerichtete Post einer „Britta aus Düsseldorf, die soviele Antworten nicht erwartet hat, sexuell aufgeschlossen ist und gerne mit großzügigen Herren ausgeht“. Absender der Mail: „britta-rudolf@telemat.de“. Doch ich habe keine E-Mail-Adresse an eine Britta vergeben. Noch schlimmer: Eine teure 0190er-Hotline für 1,83 Euro pro Minute wird beworben, die Schreibweise 0102101-9083 xxxxx täuscht dem Empfänger jedoch eine Billignummer vor. Der Höhepunkt: Ein Dialer-Anhang kommt gleich mit.

Mir schwant, was passiert ist: Ein Spammer hat meine Adresse mißbraucht. Denn der Mail-Müll entspricht einer typischen Masche: Werbeschreiben, getarnt als Flirtmail, mit angehängtem Sex-Einwahlprogramm. Dreiste deutsche Werbepost-Müllmänner tarnen die Dialer-Software auch als Bildschirmschoner. Oder sie senden Querverweise auf Sex-Seiten. Wer draufklickt, fängt sich einen teuren 0190-Dialer ein. Häufig verstecken sich die Urheber der Nerv-Post hinter gefälschten Absende-Adressen mit gutem Namen, um ihr schmutziges Geschäft aufzuwerten – zum Beispiel hinter Telemat.de.

Ich stelle unter der Adresse http://foren.telemat.de eine Informationsplattform für die betroffenen Spam-Opfer ins Internet, bitte um Hinweise. Im Lauf des Abends treffen weitere Beschwerden ein. Ein deutscher Internetcafe-Betreiber ist sauer: „auf solche E-Mails kann ich sehr gut verzichten. Sie müllen mein Postfach damit zu“. Angebliche Absenderin der Massenmail diesmal: „Britta Jauss“, Kosmetikerin aus Düsseldorf. Kurz nach 23 Uhr sendet mir Thomas S. aus Berlin die dritte Variante der Schmuddelpost: „Dieter Meher, der 1,85m grosse Flugbegleiter mit bisexuelle Neigung und Mutter tunesischer Abstammung“ sucht unter einer 0190-Nummer den Kontakt ahnungsloser Netz-Nutzer. Thomas S. schickt mir den Original-Nachrichtenkopf der Mail, den so genannten Header, der den tatsächlichen Versandweg aufzeichnet. Zum Glück gehört er zu den versierten Surfern, die wissen, wie leicht sich E-Mail-Absender fälschen lassen. Ein genaues Studiums des „Headers“ aber lässt die Täuschung auffliegen.

Tag 2
Es ist 01:32 Uhr, der Spammer wiegt sich noch in Sicherheit. Zunächst mache ich mir wenig Hoffnung, den wahren Täter zu finden. Meist sitzen die Absender der Nerv-Post in den USA oder Osteuropa.

Der Schaden, den sie anrichten, ist enorm: Laut Ferris Research kosten Bearbeiten und Löschen von Spam die US-Unternehmen in diesem Jahr mehr als 10 Milliarden US-Dollar. Privatpersonen zahlen mit Online-Zeit für das Abrufen der Mails, E-Mail-Anbieter tragen die Hardware-Kosten für das Empfangen, Verteilen und Lagern des Mail-Mülls. „Seit Ende letzten Jahres rollt eine unerwartete Spam-Welle über Deutschland, die entgegen vorheriger Wellen nicht abbricht,“ klagt Michael Greve, Technologie-Vorstand des E-Mail-Anbieters Web.de. Dort ist ein vierköpfiges Team nur damit beschäftigt, das Filter-Bollwerk gegen die Müll-Mails undurchlässiger zu machen.

Seit anderthalb Jahren nimmt das Fälschen von Mailadressen gerade im Zusammenhang mit Dialer-Spam drastisch zu“, schreibt mir Sascha Borowski, Webmaster des Dialer-Warndienstes Dialerschutz.de,Herausragend waren gefälschte Adressen von Microsoft und T-Online im vergangenen Jahr. Aber auch kleine private und gewerbliche Seitenbetreiber sind immer wieder Opfer dieser Abzocke.

Mittags präsentiert mir mein inzwischen verärgerter Internet-Provider die Rechnung für den E-Mail-Müll: Bisher 480 Euro für das Aussortieren der mehr als 1000 Antwort-E-Mails empörter Spam-Opfer. Denn alle Beschwerden und Irrläufer mit nicht existierenden Empfängeradressen wie britta-jauss@telemat.de landen in seinem Postfach.

Nicht zu vergessen der Image-Schaden: Die Nutzer-Anmeldungen für meinen Dienst Telemat.de gehen zurück. Dafür will ich den Spammer zur Rechenschaft ziehen. Ich eröffne die Jagd.

Zuerst verfolge ich den Weg, den die Telemat-Spam-Mail im Internet genommen hat. Die elektronischen Briefe wandern wie im Postkutschenzeitalter über verschiedene „Post“-Stationen, jede drückt der Mail ihren „Stempel“ mit Datum und Uhrzeit auf. Zum Beispiel: Received: from reverse-213-146-112-227.dialin.kamp-dsl.de (HELO company.mail) (213.146.112.227). So genannte „Whois-Programme“ finden heraus, welche Internet-Adresse hinter dem Zahlensalat steckt. Sie liefern durch Datenbankabfrage bei offiziellen Stellen die Besitzer-Daten. Doch in diesem Fall steht der Namen sogar im Kartext vor meinen Augen: „dialin.kamp-dsl.de“.

Tag 3
Ich recherchiere online, wer das Internet-Angebot „www.kamp-dsl.de“ verantwortet: Die Firma Kamp Netzwerkdienste aus Oberhausen, sie vermietet DSL-Anschlüsse. Über einen davon sendet der Spammer. Wahrscheinlich ahnt bei dem Unternehmen niemand, dass ein Werbemüll-Mann seinen Service ausnutzt. Ich schreibe eine E-Mail an die Geschäftsführung.

Spam mag man bei Kamp offensichtlich nicht, denn die Antwort kommt prompt: Ein Geschäftsführer erklärt am Telefon, er habe Maßnahmen zur Sperrung des betreffenden DSL-Anschlusses eingeleitet. Wer über die Nummer sendet, dürfe er jedoch nicht verraten – das verbietet das Datenschutzgesetz. Nur ein Staatsanwalt könnte diese Information eintreiben. Doch die Rechtsvertreter werden in der Regel erst bei grösseren Schäden und im Interesse der Öffentlichkeit tätig. Staatlichen Stellen in Deutschland sind in Sachen Spam die Hände gebunden: Der Mail-Müll ist nur in wenigen Fällen eine Straftat. Zum Beispiel, wenn er eindeutig, unmißverständlich und unaufgefordert für Pornografie wirbt. Doch gegen den „einfachen“ Mail-Müll gibt es kein Strafgesetz, die Behörden können kein Bußgeld festlegen.

Ich muß selbst aktiv werden, mich wehren. Nach bisheriger Rechtsprechung ist das Senden unerwünschter Werbemails nicht erlaubt. Mit Gebühren für dubiose 0190-Dienste verdient „mein“ Spammer Geld. Diese Quelle will ich austrocknen.

Tag 4
Wem gehört die beworbene 0190-Nummer? In der Liste der zuständigen Regulierungsbehörde für Post und Telekommunikation (RegPT) steht die Kölner „IN-Telegence GmbH & Co. KG“ als Besitzerin eingetragen. Vielleicht weiß diese Firma genauso wenig über den Mißbrauch ihres Services Bescheid wie der DSL-Dienstleister Kamp?

Nach dem Telekommunikationsgesetz muß der Netzbetreiber bei „Meldung einer missbräuchlichen Nutzung“ die entsprechenden Nummern sperren. Also melde ich mich bei IN-Telegence. Schon das erste Telefonat ist ein voller Erfolg: Die Kölner leiten die Sperrung ein.

Nebenbei erzählen sie mir, dass die per Spam beworbene Nummer eigentlich an die Firma FCN24 „untervermietet“ ist. Auf deren Web-Seiten entdecke ich, dass sich dahinter ein Einzelunternehmer verbirgt. Er offeriert die „kostenlose Bereitstellung von 0190er-Nummern“ – für seriöse Anwendungen wie beispielsweise TV-Hotlines, aber auch Erotik. An den Schmuddelgeschäften mit seinen Nummern verdient er per Provision mit, wie alle Besitzer und Weiterverkäufer in der 0190-Verwertungskette. Und am unteren Ende der Verdienstreihe sitzen die Versender der Schmuddel-Mails.

Zur Zeit streiten sich Wirtschafts- und Verbraucherschutzministerium, um den 0190-Dschungel zu lichten: Noch in diesem Jahr soll ein Gesetz den 0190-Mißbrauch eindämmen. Danach dürften diese Nummern nicht mehr weiterverkauft werden, erklärt mir Winfried Ulmen vom Rechtsreferant des Bundeswirtschaftsministeriums. Künftig soll die Regulierungsbehörde für Post und Telekommunikation Bußgelder gegen schwarze Schafe verhängen.

Tag 5
Bisher konnte ich die Identität des wahren Spammer aber noch nicht aufdecken. Eine heiße Fährte setzt Spam-Opfer Edward S.: „Diese Mails sind allesamt Antworten auf ehemalige Kontaktanzeigen von der Sendung Wa(h)re Liebe. Auch ich habe mal auf ein paar Inserate von Damen geantwortet. Es war auffallend, dass alle Antworten mich dazu aufforderten unter einer bestimmten 0190er-Nummer anzurufen“, schreibt er. Diese Spur führt also zu Lilo Wanders. Genauer: Zum Kontaktanzeigen-Pool ihrer VOX-Sendung im Internet.

Tag 6
Der Kontaktanzeigen-Nepp scheint tatsächlich die Masche des Spammers zu sein: Ein weiteres Opfer schildert Details über seine Erfahrung mit Inserentinnen bei Wa(h)re Liebe online. „Da Lilo Wanders in der Sendung immer sagt, dass diese Kontaktanzeigen seriös sind und sich dahinter keine Fakes und Partnervermittlungen verbergen, da die Redaktion jede einzelne von ihnen genau überprüft, dachte ich, ich könnte eigentlich mal auf einige der Annoncen antworten.“ Zehn Damen schrieb er an, doch alle hatten es nur auf seine Geldbörse abgesehen: „ … Die Antworten sahen immer so aus wie die Britta- Rudolf-E-Mail“. Rückruf unter 0190…

Wir sind machtlos, so etwas zu verhindern“, erklärt Birger Boll, Online Producer von Wa(h)re Liebe, am Telefon. Pro Tag erreichen die Online-Redaktion zwischen zwei und vier E-Mails, die sich über unseriöse Anzeigen beschweren. „Unerfreulich. Aber wir können nicht garantieren, dass alles echte Anzeigen sind“, meint Boll. Nur stichprobenweise testet die Redaktion. Boll fordert die Kontaktsuchenden zur Mithilfe auf: „Wir hoffen, dass die Leute uns in solchen Fällen schreiben“. Entsprechende Inserate wandern dann in den Mülleimer.

Tag 7
Einen zweiten Hinweis liefert der Spam-Sender selbst: In seiner E-Mail bewirbt er die Internet-Adresse Escort-Jasmin.de. Ich schaue in die Online-Datenbank des deutschen Domain-Verwalters DENIC, wer als Besitzer eingetragen ist. Der DENIC ist offiziell für die Vergabe aller Internet-Adressen mit Endung .de zuständig.

Häufig sind Spammer und Besitzer der beworbenen Netz-Adressen identisch. In diesem Fall stoße ich auf Gabriele G. im nordrhein-westfälischen Moers. Die Online-Telefonauskunft wirft mir fünf Telefonnumern einer Werbeagentur gleichen Namens in Moers aus. Niemand nimmt ab.

Gut zwei Stunden später ist Herr G. am Telefon, von der gleichnamigen Werbeagentur in Moers. Er stellt sich als Ehemann von Gabriele G. vor und fragt, ob es Probleme gäbe und er helfen könne. Herr G. bestreitet nicht, E-Post unter dem Namen „telemat.de“ versendet zu haben. Er beteuert, es wäre ein Einzelfall und „aus Versehen passiert“, ein „Tippfehler“. Er verspricht, sich öffentlich zu entschuldigen und nie wieder Spam Mails unter gefälschten Absendern zu versenden.

Kurz vor Fünf: Tatsächlich, Herr G. entschuldigt sich im Online-Diskussions-Forum unter dem Namen seiner Frau Gabriele bei allen Telemat-Mitgliedern. „Unbeteiligte bitte ich um Entschuldigung. Der Absender der E-Mail ’telemat.de’ war leider ein Versehen, …“.

Tag 8
Anruf bei der Aussenstelle der Staatsanwaltschaft Kleve in Moers, ob Interesse an einer Ermittlung wegen E-Mail-Absenderfälschung besteht. Dort heißt es: „Ja, der Fall klingt sehr interessant.

Herr G. merkt inzwischen, dass seine Spam für erheblichen Wirbel sorgt und erklärt mir schriftlich: „Ich möchte nochmals klarstellen, dass ich keine Spam-Mails versendet habe. Wie ich Ihnen schon erläutert habe, sind alle abgesendeten E-Mails an Adressen gegangen, deren Besitzer vorher die Damen für eindeutige Angebote angeschrieben hatten.

Und er gibt Auskunft über das krude Rechtsempfinden von Spammern: „Die Domäne Telemat.de war mir vollkommen unbekannt. …. Weiterhin habe ich diese Domäne nicht gefälscht, da eine Fälschung logischerweise die Kenntnis des Originals voraussetzt.“ Außerdem könnten die Empfänger unerwünschte E-Mails doch einfach löschen …

Tag 9
Hat sich der Einsatz gelohnt? Der Escort-Jasmin-Service ist unter der beworbenen Internet-Adresse inzwischen nicht mehr erreichbar, Herr G. hat das Werbeangebot mit den „heissen Girls“ eingestellt. Unter den 0190-Nummern ertönt ein Freizeichen. Die Identität des Spammers ist bekannt, seine Dialer laufen ins Leere. Einmal weniger klingelt es in den Kassen zwielichtiger Massenmail-Versender.