„2 Euro für ein Foto, 1 Euro für Glotzen“ hat ein Unbekannter an die Wand über den kleinen Zelten und Schlafsäcken gesprüht. Hier in Berlin, zwischen Hauptbahnhof und Kanzleramt, direkt an der Spree, übernachtet rund ein Dutzend Menschen, die keine Wohnung mehr haben. Sie haben um diese Jahreszeit ganz andere Probleme als Steuererklärung und Buchhaltung: Es ist bitterkalt und ihnen fehlt ein Dach über dem Kopf.

Damit diese Menschen im Winter nicht erfrieren, fährt die Stadtmission mit ihren beiden „Kältebussen“ zwischen November und März ihre bekannten Schlafplätze täglich an, sammelt einige für Kälte-Notunterkünfte ein, verteilt Schlafsäcke und warme Getränke. Denn manch einer möchte sein hart erkämpftes „Heim im Freien“ nicht verlassen und bleibt trotz klirrender Kälte lieber draußen.

An einem verregneten Dezembertag machen wir uns auf den Weg zur Stadtmission, das Auto voll gepackt mit Keksen, die durch eine Spendenaktion auf der Facebook-Seite von QuickSteuer zusammen kamen. Außerdem mit an Bord: 25 Rucksäcke und Isomatten – sowie eine Geldspende über 7800 Euro. Nils Grobmeier, Senior Marketing Manager bei Lexware und verantwortlich für die Produkte QuickSteuer und Quicken, initiierte die Aktion, die unter dem Leitgedanken der Nächstenliebe steht. „Jeder Facebook-Fan konnte so ein wenig mit zu der Aktion beitragen“, erklärt Grobmeier.

Mir persönlich geht es vermutlich so, wie vielen anderen Menschen. Es ist mir ein wenig mulmig zumute. Denn Obdachlosigkeit ist ein Thema, das man gerne verdrängt. Aus Angst. Angst, selber dahin abzurutschen. Wie schnell das passieren kann: Alkoholprobleme, Arbeitsplatzverlust oder Insolvenz, Scheidung. Zwangsräumung der Wohnung. Und es ist die Angst vor dem Tod, die dabei hilft, das Thema auszublenden.

Einer der beiden Kältebusse der Berliner Stadtmission. Den Kofferraum voller Rucksäcke und Isomatten.

 

Als wir in der Stadtmission in der Lehrterstraße ankommen, die sich etwa 300 Meter vom Hauptbahnhof entfernt befindet, werden wir von Pressesprecherin Ortrud Wohlwen und Sabine Zeller, die für Fundraising zuständig ist, begrüßt und durch das riesige Gelände geführt. Aus der 1877 gegründeten Stadtmission entstand vor 15 Jahren schon fast ein kleines Dorf. Mit zwei Notunterkünften, weiteren Häusern für Flüchtlinge und einem internationalen Jugendgästehaus, einem kleinen Shop und Café, einem Festsaal, in dem Heiligabend 350 Wohnungslose ihr Weihnachtsfest feiern werden.

Torsten Ollhoff ist für die Kleiderkammer der Stadtmission zuständig.

 

Hinzu kommt in diesem Jahr erstmals eine Kleiderkammer, die sich ausschließlich durch Spenden aus der Bevölkerung trägt. „Hier erhält jeder Mensch, was er braucht. Ohne Bedingungen“, sagt Torsten Ollhoff, der für die Vergabe der Kleidung zuständig ist. Auch relativ neu bei der Stadtmission: eine kleine Ambulanz, die ganzjährig geöffnet hat. Die zuständige Ärztin versorgt die Patienten ohne Honorar – und ist eine der rund 100 ehrenamtlichen Helfer für die Stadtmission.

Eingang zur Kälte-Notunterkunft mit mehrsprachiger Begrüßung.

 

Die beiden Kälte-Notunterkünfte befinden sich im Keller. Gleichzeitig dient eine als Speisesaal. Etwa 100 Menschen finden her Platz für eine Notübernachtung mit Isomatte und Schlafsack. „Bei besonders harten Wintern können es auch mal 200 Menschen werden“, erzählt Ortrud Wohlwend, die sich seit mehr als 20 Jahren um bedürftige Menschen kümmert. Und sie erinnert auch an die Toten, die das Leben auf der Straße Jahr für Jahr fordert. Viele der Obdachlosen sind zudem psychisch erkrankt. „Im Alltag sind es die kleinen Dinge, die helfen. Manchmal ein gutes Wort oder ein wärmender Händedruck“, so Wohlwend weiter. In der Stadtmission sind alle Menschen willkommen, ganz gleich, ob sie verschuldetet oder unverschuldet in Not geraten, ob sie alkoholisiert oder ungewaschen sind.

In besonders harten Wintern öffnet die Stadt zusätzlich zwei bis drei U-Bahnhöfe, in denen Menschen übernachten können. Denn Berlin verzeichnet mehr als 22.000 Obdachlose. Und die Dunkelziffer mag weit höher liegen, wenn man an Asylbewerber denkt, die aus Angst vor Abschiebung abgetaucht sind. An diesem verregneten Dezembertag lernen wir etwas über die Welt der Obdachlosen kennen, bekommen aber keine zu Gesicht. Ihre Würde zu wahren – auch das eine Aufgabe für die Leute von der Stadtmission.

Nach diesem verregneten Dezembernachmittag sind wir alle froh, in die geheizte Wohnung zu fahren. Mit dem Gedanken, etwas Gutes getan zu haben. Auch wenn wir niemals ein Dankeschön von den Spendenempfängern bekommen werden.

Zum Abschluss der Führung übergibt Nils Grobmeier Rucksäcke, Isomatten und Kekse.