Sie heißen Herzensbrecher, Schneewitchen, Schwalbennest oder Friedel. Mit Wohnwagen im Retrochick der 1950er- und 1960er-Jahre lockt das Berliner Hotel Hüttenpalast internationale Touristen und Geschäftsleute.
Wohlfühlen sollen sie sich – irgendwo zwischen Campingplatzflair und urdeutschem Schrebergartenglück mitten in Berlin-Neukölln.
In zwei Produktionshallen einer ehemaligen Staubsauger-Fabrik stehen auf insgesamt mehr als 300 Quadratmetern verteilt insgesamt acht Wohnwagen und vier Holzhütten. Gäste können sich in den auf 20 Grad beheizten Hallen in der Hollywoodschaukel entspannen oder morgens mit dem Waschbeutel unterm Arm in Flipflops zu den geschlechtergetrennten Gemeinschaftsduschen schlendern. In der Camperhalle gibts Kaffee und Croissants gratis zum Frühstück. Und das für 55 Euro pro Nacht und Single, das Doppel-„Zimmer“ kostet nur 10 Euro mehr.
Unternehmensidee: Retrocamping in Berlin-Neukölln
Die Idee dazu hatten die beiden Unternehmerinnen Sarah Vollmer und Silke Lorenzen, die sich schon seit ihrer Schulzeit in einem Internat im Odenwald kennen. Ende 2009 fiel der Entschluss, sich gemeinsam selbstständig zu machen. Aber womit? Silke Lorenzen hatte die Nase vom Event-Business voll, in dem sie bisher ihre Brötchen verdiente und Sarah Vollmer, selbstständige Modedesignern, hatte es satt, alleine vor sich hin zu werkeln.
Sie wollten ein Unternehmen gründen, mitten in ihrem Kiez. Und eigentlich brachte sie das besondere an Berlin auf die Heureka-Idee. Hier treffen sich Menschen aus der ganzen Welt, sie wollen sich heimisch fühlen und suchen in der Fremde nach Kontakten und Freundschaften. Was lag näher als ein Hotel, das dies leichter macht? „Die größeren Hotels können das nicht bieten. Dort ist alles sehr kühl und zu anonym“, meint die 35-Jährige Sarah Vollmer. „Und ein Hostel wollten wir auch nicht. So entstand die Idee zu einem Camping-Hotel“.
Oldtimer-Wohnwagen aus der DDR
Nach längerer Immobiliensuche fanden Sie dieses klassische Berliner Hinterhofgelände – eine ehemalige Staubsaugerfabrik und Möbelmanufaktur. Darin konnte man, die Geschichte der letzten 100 Jahre fast noch „einatmen“, – extrem sanierungsbedürftig, aber mit Charme. 2010 fiel der Startschuss für die Sanierung und die bundesweite Suche nach den Oldtimerwagen. Mit der Hilfe von Freunden und ebay waren diese, meist made in GDR, recht schnell aufgetrieben. Manche waren aber in einem derart schlechten Zustand, dass sie – mit Hilfe von befreundeten Designern – komplett restauriert werden mussten. Sarah ließ ihrer handwerklichen Begabung freien Lauf, richtete eine hauseigene Werkstatt ein. Dort begann sie die gesammelten Möbel für Café und Hallen wieder flott zu machen. Sie entwarf auch die Möbel für die Hotelzimmer, die ein Tischler dann umsetzte. Ebenso verwandelte sich der Garten vor der Halle – einst eine eine hässlich graue Ladefläche für Fabrikabfälle – in ein Biotop für Sonnenhungrige.
Recycling statt Abfall
Statt alles wegzuwerfen, sammelten die beiden Unternehmerinnen die Abfälle wie beispielsweise große Kabelrollen, alte Badewannen, Weinkisten, Holzfässer oder Öltonnen. Aus ihnen entstanden beispielsweise Pflanzenkübel und Gartentische. Die größte Investition: zwei Kubikmeter Muttererde. Darin sprießt die Saat aus Gärten von Freunden und Bekannten. Zu diesem Zeitpunkt war auch Sarah’s Mutter Cornelia „infiziert“. Ohne große finanzielle Mittel schuf sie aus Sperrmüll und Samenkörnern eine Insel des Wohlfühlens.
Im Sommer 2010 zogen Gäste in die ersten drei Wohnwagen und Holzhütten. Inzwischen war auch das Fabrikgebäude saniert und bot Platz für sechs zusätzliche Zimmer, jeweils mit jeweils eigenem Bad. Darin sollen sich Geschäftsleute, aber auch Familien heimisch fühlen. Die schlichte Einrichtung ist zweckgemäßig und wurde von Sarah Vollmer entworfen. PS: Fernseher gibt es nur auf Anfrage.
Alleinstellungsmerkmal: Unternehmerpersönlichkeit
Die kreativen Jungunternehmerinnen sind durch ihren Aufenthalt in einem antiautoritären Internat und ihre persönliche Geschichte geprägt. Im Internat war man mit den Lehrern per Du – also duzen Sarah und Silke auch alle Gäste, die aus der gesamten Welt, aus Sibirien oder Frankreich, Holland oder den U.S.A. im Hüttenpalast nächtigen. „Wir möchten, dass sich die Gäste geborgen und wohl fühlen, ihre Herzen ansprechen. Das Projekt ist unser Baby und hängt sehr eng mit unseren Persönlichkeiten zusammen““, erklärt Silke Lorenzen ihre Absichten.
Sarah ist eher die typische Berlinerin vom Kiez, Silke verbrachte Kindheit und Jugend in diversen asiatischen Ländern, geboren wurde sie in Pakistan. Erst mit 16 kam sie mit ihren deutschen Eltern zurück nach Deutschland. Sarah ist seit ihrem zwölften Lebensjahr Vegetarierin, Silke hat die internationale Küche in sich aufgesogen. Uns so spiegeln sich ihre Biografien nicht nur in ihren Unterkünften wider, sondern auch auf der Abendkarte ihres Restaurants. So entstehen dann Speisen wie Züricher Saitan-Geschnetzeltes, Marokkanischer Bulgursalat oder persischer Kichererbseneintopf – Kreationen, die sie ihren mehr als 5000 Fans auf der Hüttenpalast-Facebook-Seite ankündigen.
Silke Lorenzen und Sarah Vollmer – zwei markante Unternehmerpersönlichkeiten, die sich mit dem Hüttenpalast ihren perfekten Arbeitsplatz schufen, an dem sie ihre kreativen Leidenschaften ausleben können. „Es gibt immer etwas zu tun. Neue Kuchen oder Abendessen für unser Café-Restaurant kreieren, Gartenarbeit im Frühjahr oder Möbel in der Werkstatt restaurieren“, erklärt Sarah.
Internationales Medienecho
Finanziell trägt sich der Hüttenpalast nach nicht einmal drei Jahren selbst, die Auslastung liegt bei durchschnittlich 80 Prozent – eine Zahl, von der viele Hoteliers nur träumen können. Und dennoch denken die beiden Unternehmerinnen nicht an einen Verkauf oder an ein Franchise-System, obwohl sie laufend Anfragen erhalten – von Stockholm bis Köln. Vollmer und Lorenzen finanzierten ihre Idee mit ein wenig Eigenkapital und mit einem Kredit der Volksbank, der KfW und der Berliner Bürgschaftsbank. Ihr Glaube und ihr Engagement hat sich auf vielfache Weise gelohnt. Ergebnis: sie wurden für den deutschen Hotelnachwuchspreis nominiert – und bekamen ein gigantisches Medienecho weltweit. Die Zeitschrift GEO Saison zählt den Hüttenpalast zu den 100 Tophotels in Deutschland, der Marco Polo Reiseführer für Berlin empfiehlt ihn als Geheimtipp – ebenso wie Spiegel-Online und im vergangen Herbst schaffte es der Hüttenpalast auf die Website vom Nachrichtensender CNN.
Mehr als 200 internationale Medien berichteten über die originelle Unternehmeridee. Ein New Yorker Gast hatte in einem amerikanischen Weblog von der Berliner Kiez-Unterkunft erfahren, ein sibirischer Gast aus einer russischen Zeitung. Neben der einst angepeilten Zielgruppe der 25- bis 40-Jährigen kommen auch zahlreiche Senioren hinzu, Nostalgiecamper, die einst ihr Hochzeitsreise in einem der Retro-Wohnwagen unternahmen und heute darin ihren Hochzeitstag feiern. „Manche Gäste finden es hipp und cool, für andere ist es eine Kindheitserinnerung. Wir freuen uns immer über die Geschichten, welche die Gäste zu uns führen“, erzählt Sarah Vollmer.
Das große Medienecho rief auch die Neuköllner Stadtverwaltung auf den Plan. Sie zitierten die beiden Unternehmerinnen aufs Amt. Einen Campingplatz, mitten in Berlin, habe man aber nicht genehmigt, so das Amt. Es bedurfte schon ein wenig Überzeugungsarbeit, um den Beamten zu erklären, dass „Schneewittchen“, „das Dübener Ei“ oder „Puck“ die Namen für Hotelzimmer seien, halt eben im Retro-Wohnwagen-Design.