„Ich habe leider überhaupt keine Zeit!“ Wie oft hören wir diesen Spruch? Sei es von Kollegen, Verkäufern oder Freunden. Haben diese Menschen denn wirklich keine Zeit, nur weil sich der Fertigstellungs- oder Abgabetermin nähert, weil ständig Kunden drängeln oder Freunden der Garten wichtiger ist? Fühlt man sich als Kunde oder Freund dann nicht eher veräppelt? Auf mich wirken solche Aussagen eher wie: „Ich nehme mir keine Zeit für Sie!“
Zeit ist Geld !
Wenn ich heute diesen Spruch lese, muss ich schmunzeln. „Zeit und Geld“ werden in der Wirtschaft gerne gleich gesetzt. Dabei wird im hektischen Business gerne vergessen, wer wir eigentlich sind: Menschen. Denn alles, was wir mit der Geburt geschenkt bekommen ist ein Körper – und eben Zeit, Lebenszeit. Was wir daraus machen, liegt an uns selbst. Wir können alles machen, alles sein, egal wie arm oder reich wir sind. Banker können Zeit zu Geld machen, Wissenschaftler bei Zeiten Wissen schaffen. Oder Menschen können sich Zeit für andere Menschen nehmen – Zeit ist eben nicht immer nur Geld.
Geld kann man verlieren, Zeit nicht ?
Vor einigen Jahren arbeitete ich für einen erfahrenen Manager, der einen scheinbar eigenwilligen Umgang mit beiden Ressourcen pflegte. Wenn ich, gewiss in kleinerem Rahmen, mich mal verkalkulierte oder Geld der Firma für scheinbar sinnlose Hardware ausgab, fürchtete ich mich vor einem Anschiss oder gar schlimmeren Repressalien. Nichts dergleichen passierte, Fehler wurde stets sachlich aufgearbeitet.
Versäumte ich es aber, mich schlecht auf die Meetings mit meinem Chef vorzubereiten, mir also vorher keine Zeit nahm, und somit seine Zeit unnötig vergeudete, grummelte er: „Jürgen, Geld können wir verlieren und wieder zurück gewinnen, Zeit niemals. Es ist – neben Wissen – unsere wertvollste Ressource.“
Zeit ist ein Geschenk, kein Diebesgut !
Zeit ist ein Geschenk, das wir den Menschen weiter schenken, die uns wertvoll sind – egal ob privat oder beruflich. Dass man einem „geschenkten Gaul nicht ins Maul schauen“ sollte, ist eine geflügelte Weisheit, die für vieles gilt, aber keinesfalls für Zeit. Dabei denke ich an so manchen Verkäufer, dem ich persönlich oder telefonisch begegnet bin. Sie beschenkten mich nicht, sie stahlen meine Zeit mit unnötigem Geschwätz. Aber…quasseln, schwätzen ist nicht gleich „zutexten“ oder das „Ohr abschwatzen“! So manches firmeninterne Geschwatz in der Kaffee- oder Teeküche oder ein langes Telefonat mit einem problematischen Kunden ist oft wertvoller als aneinander vorbei zu schweigen. Es erfordert immerhin Zeit, Zeit zur Vorbereitung, Zeit zum zuhören.
Mehr Zeit für sich selbst !
Wenn wir Unternehmer oder Freiberufler uns mit Zeitmanagement beschäftigen, dann meist nur, um mehr Zeit für Aufträge und Kunden zu gewinnen. Da werden die tollsten Zeitplansysteme verwendet, die, nur am Rande bemerkt, mehr Zeit zur Pflege brauchen – als die gewonnene Zeit unter dem Strich bringt. Oft vergessen wir dabei uns selbst, arbeiten 50, 60 Stunden in der Woche, haben vermeintlich kaum Zeit für andere Menschen, manchmal auch für die Kunden, deren Umsätze niedrig sind. Wie oft verbergen sich hinter diesen Kunden aber wertvolle Perlen…
Wie viel Zeit braucht man, um anzukommen ?
Vor kurzem zog ich nach Berlin und traf einen alten Freund wieder, dessen Unternehmen inzwischen auf 80 Mitarbeiter und über fünf Millionen Jahresumsatz gewachsen ist. Dennoch nahm er sich Zeit für sein jüngstes Kind, gönnte sich als Unternehmer gar eine mehrmonatige Elternzeit. Merken Sie an meiner Schreibweise, wie sehr wir Selbstständige diesen Zeitdruck verinnerlicht haben? Ich schrieb „gönnte … als Unternehmer“, obwohl es besser lauten sollte: „… selbstverständlich kümmerte der erfolgreiche Unternehmer sich auch liebevoll um seinen jüngsten Sohn.“
Wer rastet, der rostet ?
Kurz nach meinem Umzug nach Berlin, so meine Zeitplanung, sollte alles wieder 100 Prozent laufen, mit Büro etc. pp. Die Möglichkeiten sind alle vorhanden. Aber ich spürte innerlich gar nicht, dass gerade ein Ortswechsel und Neuanfang sehr viel Zeit braucht. Zeit für sich selbst, um anzukommen. Zeit für sich selbst, um mit alten Dingen endgültig abzuschließen. Zeit, um sich entspannt und gelassen auf Neues einzulassen. Zeit ist Leben. „Leben ist kein Zustand. Leben ist Veränderung“ (Motto einer Berliner Firma).
10 Gedanken zur Entschleunigung
1. Langsamkeit und Demut
Gehen Sie immer schneller als andere Menschen? Haben Sie das Gefühl, Sie müssten schneller sein und lieber andere überholen statt überholt zu werden?
2. Atmung
Atmen Sie meist schnell, kurzatmig, statt lange, tief und bewusst über den Bauch? Denken Sie, dass Yoga nur etwas für Frauen ist?
3. Stress entsteht immer im Kopf
Wie bewusst ist Ihnen Zeit? Empfinden Sie (zeitlichen) Stress, wenn Sie an Kunden und Aufträge denken?
4. Eine Zeitbilanz
Wie viel Zeit widmen Sie Ihren Freunden oder Ihrer Familie wirklich? Oder kennen die von Ihnen nur noch den Spruch: „Ich habe leider in letzter Zeit so wenig Zeit, weil ….“?
5. Dem Hordendruck widerstehen
Lassen Sie sich in Punkto Zeit, Zeitmanagement und Zeitdruck von anderen Menschen sowie Gruppen stark beeinflussen, Motto: „Alle Freiberufler müssen halt hart arbeiten“? Was bedeutet denn „hart arbeiten“? Sind Sie immer so hart gegen sich selbst?
6. Auszeiten bedeuten viel Arbeit
Wann haben Sie als Selbstständiger mal die Wochenenden zuletzt so richtig genossen? Nein, ich meine nicht ein oder zwei, sondern kontinuierlich? („Erfolg ist schwer, kontinuierlicher Erfolg bedeutet harte Arbeit“, sinngemäß von Rach, dem Restauranttester).
7. Wer sind Ihre größten Zeitfresser und -banditen?
Viele Freiberufler klagen über zu viel Arbeit und zu wenig Zeit. Seltsamerweise beobachte ich sie dabei, wie viel Zeit sie neben ihrer Arbeit bei Facebook oder für das sichten von Nachrichten vergeuden. Wann haben Sie zuletzt darüber nachgedacht, wie viel Sie verschwenden? Wie wäre es mit 1-2 Minuten täglich, um sich am Wochenende mehr Zeit für ein schönes E-Book Buch zu nehmen?
8. Neues für die Zeit wagen!
Menschen tun sich schwer mit Veränderungen, wenn alles (scheinbar) gut läuft. Bei IT-Leuten gibt es den Spruch: „Never change a running system“. Bei manchen müsste es ehrlicher lauten: „Irgendwie geht das schon. Hat ja immer irgendwie funktioniert.“ PS: Jogi Löw ist der erste deutsche Fußballbundestrainer, der Yoga und Glücksarmbändchen im DFB-Team einführte.
9. Grenzen setzen!
Die heutigen Kunden fühlen sich selber oft gestresst und sie geben diese Hektik an uns weiter. Sagen Sie doch mal „Nein!“ – wenn Ihre Qualität und Ihre Leistungen stimmig sind. Kunden werden es verstehen, weil sie nicht möchten, dass Sie ausfallen.
10. Ignorieren – oder abschalten.
Früher galt das Telefon als das größte Störungs- und Ablenkungsinstrument im Business-Alltag. Heute ist eher E-Mail, Skype, Xing, Facebook … einfach mal ignorieren, mit dem Notebook in den Nebenraum oder den heimischen Garten auswandern, das Wesentliche dabei im Blick behalten, oder, wenn es gar nicht anders geht: Abschalten! Dazu reicht ein einziger Finger, alla Effe. Der Mittelfinger.
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