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Das Ende der Pressefreiheit

11. Juni 2009

DIE GEDANKEN SIND FREI

Ein Kommentar von Michael Konken,
Bundesvorsitzender des Deutschen Journalisten-Verbandes (DJV)

Der Festakt ist absolviert, die Verfassung wurde gefeiert, unser Grundgesetz ist nach der Inthronisierung vor 60 Jahren wieder im Alltag angekommen. Es ist in die Jahre gekommen, befindet sich im Vorruhestand. Die Pressefreiheit hat sich zurückentwickelt, der Geist der Gründungsväter wurde ihr kontinuierlich entzogen. Immer stärkere gesetzliche Einschränkungen der Lobby der Sicherheitsfanatiker wurden zu Totengräbern unserer Freiheitsrechte.

Regelmäßig predigten die Hüter der Verfassung den Menschen Angstszenarien, die ihre Wirkung nicht verfehlten. Sie wurden zu zweifelhaften Begründungen für einschneidende gesetzliche Interventionen in die Pressefreiheit, zu Freifahrtsscheinen für Eingriffe von BKA, BND und Verfassungsschutz. Der Informantenschutz wurde ausgehöhlt, die Werte der Pressefreiheit haben nur noch Alibicharakter. Mittlerweile bespitzeln auch Unternehmen im großen Stil ihre Mitarbeiter, dringen in die Privatsphäre ein. Kein Wunder, denn der Staat macht im großen Stil vor, was Unternehmen mittlerweile als Kavaliersdelikt sehen.

Die verfassungsrechtliche Kontrollfunktion der Presse in unserem demokratischen System ist zur Seifenblase geronnen. Die Pressefreiheit zum Pseudowert. Der Journalismus, der unsere Gesellschaft kritisch kontrollieren soll, hat das Ende der Fahnenstange vermutlich schon erreicht. Die werte Öffentlichkeit scheint es nicht zu stören, sie registriert es beiläufig. Beiläufig, weil der Trend der Zeit materielle Werte in den Fokus gerückt hat.

Die historische Verantwortung wandelt sich in Verantwortungslosigkeit. Journalisten, die für die Pressefreiheit unentwegt kämpften, geraten in Vergessenheit. Wie würden Philipp Jakob Siebenpfeiffer und Johann Georg August Wirth, die Initiatoren des Hambacher Freiheitsfestes reagieren? Ganz zu schweigen von Kurt Tucholsky, Carl von Ossietzky, Henri Nannen, Rudolf Augstein und anderen. Sie würden ihre unerbittlichen Kämpfe für die Presse- und Meinungsfreiheit angesichts der aktuellen Situation verbittert und frustriert registrieren, ihr Lebenswerk gescheitert sehen. Ihre Ideale verblassen am Horizont der freien Presse. Und der Journalismus selbst? Er zuckt noch, scheint allerdings mehr und mehr zu resignieren. Journalistenpreise für die Pressefreiheit werden zur Rechtfertigung für unser Gewissen. Auch Freiheitstage und Stiftungen versuchen unentwegt, die Öffentlichkeit zu erreichen, die allerdings überwiegend mit Ignoranz den Mühen begegnet. Die Gedanken sind frei … Die Pressefreiheit wohl kaum.

Erstveröffentlichung im Web mit freundlicher Genehmigung von Michael Konken. Der Kommentar erschien erstmals im Juni 2009 im Print-Magazin „journalist“.

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