Der Leipziger Unternehmer Lukasz Gadowski hatte eine Vision: Geld verdienen mit individuell bedruckten Textilien. In nur fünf Jahren erobert seine Firma Spreadshirt vom Leipziger Industriestadtteil Plagwitz aus die Welt, wurde zu einer der wachstumstärksten Europas. Zurzeit stehen die Zeichen jedoch auf Umbruch.
Ein Portrait von Jürgen Christ. Fotos: Sebastian Willnow, Leipzig. Erschienen in ProFirma, einer Unternehmerzeitung des Haufe-Verlages.
Bei Lukasz Gadowski einen Termin zu bekommen ist schwieriger, als kurzfristig den Siemens-Vorstandschef zu treffen. „Interview? In ein paar Monaten vielleicht“, bedauert die Assistentin am Telefon. Nach „nur“ zwei Monaten lerne ich den „gehypten“ Lukasz Gadowski endlich kennen. Ein schlanker, mittelgroßer 30-Jähriger in Jeans und T-Shirt; Aufschrift: „Keep it simple“. Eines seiner Lieblingsmotive und natürlich aus der eigenen Produktion. „Möchten Sie einen Kaffee?“, fragt er freundlich. Auf mich wirkt er nicht wie der „große Zampano“ der „Second“ New-New-Economy. Im Gegenteil, der durch die Medien gereichte und gefeierte Vorzeigeunternehmer ist eher zurückhaltend – fast schon schüchtern. Mein erster Eindruck: Vor mir sitzt ein BWL-Student im höheren Semester.
Die Spreadshirt-Angestellten sind genauso jugendlich. Durchschnittsalter der weltweit 250 Mitarbeiter: 28. Alle sind per Du. Schon beim Vorstellungsgespräch. Die jungen Kreativen schwirren in Jeans und T-Shirt durch die Flure, relaxen bei einer Runde am firmeneigenen Kickertisch. Auf den Schreibtischen Wasserpistolen – wohl, um sich zwischendurch die Hirne frei zu spritzen. Wie auch bei Lukasz. An den Wänden der Firmenküche stapeln sich Wasserkisten bis unter die Decke. Schöpferisches Chaos, das ein bisschen an die „New Economy“ der 90-er erinnert. Keine Kommunikationsbarrieren, überall offene Türen, auch bei spiritus rector Gadowski. Angst schätzt er nicht: „Mitarbeiter müssen Fehler machen, sonst probieren sie ja nichts aus und lernen nicht weiter. Was ich allerdings nicht leiden kann: den gleichen Fehler zweimal machen.“
Keine Diva, eher verspielter Kaufmann
Doch so offen sich Gadowski in seiner Spreadshirt-Welt bewegt, so scheu scheint er vor der Presse. Seine Antworten sind meist kürzer als meine Fragen, fällt ihm spontan nichts dazu ein, schweigt er einfach. Manchmal frage ich mich: „Ist er unaufmerksam oder gar bockig, ist er eine Diva oder ist er einfach schüchtern?“ Ab und zu verschwindet er mitten im Gespräch hinter seinem Notebook. Was er da macht, weiß ich nicht immer – checkt er E-Mails, prüft er Aktienkurse? Plötzlich fragt er: „Ihre E-Mail-Adresse? Sie sind noch nicht Mitglied in meinem Kontaktnetzwerk bei Xing. Okay, jetzt sind Sie es.“ Bevor ich mit meinem Interview richtig in Fahrt komme, bemerkt er trocken: „Vorab habe ich ein paar Fragen an Sie.“ Gadowski packt die digitale Videokamera aus, richtet das Objektiv auf mich, die rote Lampe geht an. „Für wen schreiben Sie?“ Aus dem Journalisten wird der Befragte. Und Gadowski will alles ganz genau wissen: Berufliche Laufbahn, was ich verdiene. „Er provoziert sehr gerne, um zu schauen, wie Menschen reagieren“, sagt „Executive Assistence to Lukasz Gadowski“ Constanze Hempel über ihren Chef. Die 26-Jährige mit dem neu kreierten Titel ist Gadowskis rechte Hand. Beherzt frage ich zurück: „Bevor ich Ihnen verrate, was ich verdiene – wie viel setzen Sie denn im Jahr um?“ Knappe Antwort: „Wir sind nicht verpflichtet, unsere Umsätze zu veröffentlichen.“ In der Branche munkelt´s, es sei ein kleiner zweistelliger Millionenbetrag. Laut Sächsischer Zeitung machte Spreadshirt 2005 rund 8,7 Mio. Euro Umsatz. Alles nur Gerüchte, Gadowski schweigt ohne zu lächeln.
„Wir brauchten eigentlich kein Geld“
Er mag manchmal wunderlich wirken, doch er ist keiner, der heiße Luft produziert. Er packt an, das hat er mit Spreadshirt bewiesen: Das Unternehmen brachte er ohne Fremdkapital auf Kurs. Die Idee kam ihm 2001, damals verdingte er sich in den Semesterferien als Praktikant bei einem Berliner Start up, griff auch mal daneben – und verlor dabei Freunde, wie er heute zugibt.
„Unternehmen? Das kann ich auch“, muss er sich gedacht haben. In Berlin lief ihm dann auch sein zukünftiger Partner Matthias Spieß über den Weg. Gadowski: Marketing; Spieß: IT-Entwicklung – ein perfektes Team. Spreadshirt war geboren. Doch beim Kölner Businessplan-Wettbewerb NUK hielt man die Vision vom individuellen T-Shirt aus dem Web für ein „unrealistisches Geschäftsmodell“. Trotzdem: Im Juni 2002 gewinnt der Newcomer mit „Ärzte ohne Grenzen“ den ersten wichtigen Großkunden. Banken konnten mit Gadowskis Geschwindigkeit nicht Schritt halten. Die Geldhäuser waren dem ungeduldigen Unternehmer viel zu langsam bei der Kreditvergabe. Dann machen wir das eben aus der eigenen Tasche, sagten sich die Gründer und stellten fest: „Das Geld brauche wir eigentlich nicht.“ Spreadshirt schrieb von Anfang an schwarze Zahlen. Extravaganzen wie dicke Autos oder teure Designerkühlschränke leistete man sich nicht. Schritt für Schritt sollte die Welt erobert werden.
„Aus E-Commerce wird Social Commerce“
Das Spreadshirt-Konzept ist denkbar einfach: Jeder, ob Privat- oder Geschäftsmann, kann einen eigenen Online-Shop mit selbst kreierten T-Shirts, Tassen, Mousepads, Taschen…einrichten. Das Angebot umfasst mehr als 80 bedruckbare Artikel – sogar String Tangas. Inzwischen gibt es mehr als 300.000 Shop-Partner. Spreadshirt kassiert den Grundpreis für Produktion, Lagerhaltung, Versand und Zahlungsabwicklung. Was der Endverbraucher letztlich bezahlt, legen die Shop-Partner selbst fest. Und: Geld fließt nur, wenn wirklich verkauft wird. Denn erst dann läuft die Produktion an.
Gadowskis Motto: „Aus E-Commerce wird Social Commerce“ – so versteht er Web 2.0. Das gesamte Marketing spielte sich bisher ausschließlich im Internet ab. Deshalb wohl auch Gadowskis Scheu vor Journalisten: Er war nie angewiesen auf traditionelle Medien. Sein Sprachrohr sind vor allem seine T-Shirts. Darauf Sprüche wie: „Stasi 2.0“ mit Schäuble-Konterfei oder „FBI Federal Beauty Inspector“. Das trifft den Zeitgeist, spricht sich im Internet schnell herum. Erst seit 2007 hat Spreadshirt überhaupt eine Presseabteilung. Dafür füllt das gesamte Spreadshirt-Team vom Praktikanten bis zum Vorstand unzählige Onlinetagebücher.
Risikokapital floss erst nach anfänglichen Erfolgen
2003 beendet Gadowski sein Studium an der Handelshochschule Leipzig, aus der Spreadshirt GbR wird eine GmbH und die weltweite Expansion beginnt. Schlag auf Schlag reiht sich Auszeichnung an Auszeichnung wie der Hewlett Packard Business Innovation Award, es folgt eine Niederlassung in den USA sowie die Marktausdehnung nach Großbritannien, Frankreich, Spanien und Russland. Die Produktionskapazitäten sind bald erschöpft, ein neues Druckzentrum wird in Taucha bei Leipzig eingerichtet. Sogar die Entwicklung des neuen Unternehmenslogos wird ganz im Web 2.0 Manier auf die weltweite Internetgemeinde übertragen: Ein offener Wettbewerb im WWW inklusive Voting durch die Online-Community. Freimütig schildert er später sein ungewöhnliches Ausbaukonzept: Das Unternehmen habe sich sein Wachstum finanziert, indem es das Geld bei den Kunden schneller kassierte, als es Rechnungen bezahlte. 2006 entsteht aus der GmbH die sprd.net AG und es fließt Risikokapital: Der internationale Venture Capitalist (VC) Accell beteiligt sich mit einer Summe zwischen „zwei aber weniger als zehn Millionen Euro“, wie Lukasz Gadowski in seinem Online-Unternehmertagebuch schreibt. Neben den USA gibt es nun auch Standorte in den Niederlanden, Polen, Irland und Frankreich. Im Aufsichtsrat sitzt mit Rezzo Schlauch gar ein Grüner, weil „er ein cooler Typ ist, der gut zum Unternehmen passt“, schwärmt Gadowski, „sehr pragmatisch denkt und erfolgreich ist. Und es mit ihm Spaß macht.“
Für Gadowski beginnt die Suche nach neuen Er wird selbst zum Geldgeber, beteiligt sich mit kleineren Summen an anderen Start ups. In seinem persönlichem Portfolio 20 Beteiligungen mit Investments zwischen 10.000 und 150.000 Euro. „Ich bin ein großer Fan von Unternehmertum und der Meinung, dass Deutschland auf diesem Feld noch riesigen Nachholbedarf hat“, schreibt er in seinem Internettagebuch. 2007 räumt er den Vorstandsstuhl bei sprd.net und wird Präsident. Von nun an möchte er sich auf „die strategische Ausrichtung konzentrieren“, mehr Zeit als Business Angel und Investor haben. „Freiheitsdrang und Gestaltungswille“ treiben ihn. „Ich war nicht fanatisch an T-Shirts interessiert, sondern am Unternehmertum.“ Wäre es nicht Spreadshirt hätte es wohl auch ein Elektronikimperium sein können. „Bei der Gestaltung geht es nicht um einzelne Arbeiten, sondern um wirtschaftliche Freiheit. Zu Gestalten, was man will. Und auch Einfluss zu nehmen, allerdings keinen politischen Einfluss.“ Politisch aktiv zu werden, komme für ihn allerdings nicht in Frage. Für ihn ist es eher interessant, einzelne Politiker kennen zu lernen – „zu wissen wie die ticken, weil es manchmal Schnittstellen gibt.“
Gadowski ist ein „Menschensammler“
Online dokumentiert er per Videoclip Interviews mit Start-up-Unternehmern und Investoren aus der ganzen Welt. Aufgenommen auf seinen vielen Business-Trips. So finden sich auf der Videoplattform youtube.com seine Aufzeichnungen. In der Fotocommunity Flickr.com veröffentlicht er Schnappschüsse von seinen Dienstreisen. „Ich komme ganz gut rum und treffe interessante Leute.“ Geisteswissenschaftler scheinen nicht darunter zu sein. Ganz offen gibt er zu: „Was ich als Unternehmer nicht mag, sind Doktoren der Geisteswissenschaft. Eine Verschwendung volkswirtschaftlicher Ressourcen.“ Lieber sind ihm wahrscheinlich Business-Communitys. Über 1000 Geschäftskontakte unterhält er bei Xing, dem größten deutschen Business-Netzwerk. In seinem Profil schreibt er: „Ich bin fokussiert auf Business und dulde keine Ablenkung. Faulenzen können wir, wenn wir 64 und in Rente sind. Bis es so weit ist, sollten wir zudem ausreichend Maschinen bauen, die unseren Wohlstand absichern.“
Doch Wohlstand definiert sich für Gadowski nicht über schnelle kleine Autos oder protzige Uhren. Urlaub macht er selten, mal ein kurzer Tauchurlaub in Thailand oder letztes Jahr zum Golfen nach Schweden. Luxus ist für den in Oberschlesien Geborenen etwas anderes: „Die Freiheit über die eigene Zeit.“ Als Lukasz Gadowski acht Jahre alt ist, emigriert seine Familie aus Polen nach Kassel. Der Vater, Diplom-Ingenieur Jan Gadowski, war in den 80-er Jahren Mitglied der polnischen Arbeiterbewegung und fand keinen Job als Diplomingenieur. Nach dem Abitur studierte Lukasz Wirtschaftsinformatik sowie Betriebswirtschaft. „Aber eigentlich halte ich nicht viel vom Studieren und habe immer mehr gearbeitet“, erinnert er sich. „Was mit Wirtschaft und Technologie“, war schon immer sein Berufswunsch. In einem Selbstporträt schrieb er: „First generation immigrants sind oft die besseren Unternehmer.“ Inzwischen arbeitet auch der Vater für den Sohn, ist Produktionsleiter der Druckerei in Taucha. „Er ist ein normaler Mitarbeiter, wir sind kein Familienbetrieb.“ Und Lukasz Gadowski hat noch viel vor: „Weltmarktführer für individuell bedruckte Textilien werden – wie Google das bei den Suchmaschinen geschafft hat.“ Doch dafür musste sich Spreadshirt erst neu erfinden. Als „gerade in der Pubertät befindliches Unternehmen Version 1.5“ bezeichnete er es in Anspielung auf Web 2.0. Das interne Management lief in den ersten Jahren eher chaotisch ab: Praktikanten sortierten die Bewerbungsunterlagen aus. Manchmal landeten besonders originelle Schreiben gar im Internet – wenn auch anonymisiert. Eine eigene Personal- und Presseabteilung entstand erst 2007 und auch einen Betriebsrat gibt es mittlerweile – bei den Druckern in Taucha.
Doch auch nach der „Pubertät“ pflegt Gadowski sein „Diven-Image“ immer noch ein wenig. Nach der 30-minütigen Audienz verabschiedet er sich kurz, dreht er sich wortlos zu seinem Rechner und taucht wieder in seine Internet-Welt ein.
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