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Was haben das trojanische Pferd und ein Knöllchen-Empfänger gemeinsam? Beide sind Falschparker. Behauptet jedenfalls die Stadtverwaltung der US-Stadt Indianapolis im Internet. Launige Geschichten und die Möglichkeit, das Bußgeld mit Kreditkarte online über’s Internet zu begleichen, versüßen örtlichen Parksündern das Zahlen. Schnell und bequem können sich die Bürger von Indianapolis aber nicht nur fälliger Knöllchen entledigen. Ihre Kommune bietet eine ganze Palette von Dienstleistungen im Internet an: Gerichtsurteile, Auszüge von Heiratsurkunden und sogar Einblick in die Karrieren lokaler Gesetzesbrecher. Kosten: Zwischen zwei und fünf US-Dollar. Der freundliche Online-Bürgerdienst brachte Indianapolis im September den Sieg im „e-Gov“-Wettbewerb der Zeitung „Technology Government“, dicht gefolgt von Seattle und Chicago. Weltweit haben „virtuelle Amtsstuben“ Hochkonjunktur, buhlen Städte und Kommunen online um die Gunst der Bürger. Gute Stimmung verbreitet die neuseeländische Hauptstadt Wellington: Ihre Bewohner erfahren im Internet unter dem Motto „Wellington, absolut positiv“, wie ihre Ratsmitglieder regieren oder wann die nächste Gemeindesitzung ansteht. Auch Frankreich macht mobil: Alle Ämter sollen bis zum Jahr 2000 per E-Mail erreichbar sein, kündigt der Premierminister an. Damit Nicht-Computerisierte nicht außen vor bleiben, plant die Regierung, in den Postämtern über 1000 Internet-Terminals bis Jahresende aufzustellen. Vielbeachtetes Musterbeispiel Frankreichs ist bereits die Kleinstadt Parthenay. Kommunen sehen sich immer mehr als Dienstleister. Die österreichische Stadt Salzburg entwirft im Internet ein Leitbild der Verwaltung als „Unternehmen“ im Bürgerdienst – dialogstark, „mit klarem Streben nach Qualität, Kompetenz und Vereinfachung“. Vorreiter in Sachen Kommunal-Dienste ist der asiatische Stadtstaat Singapur. Und geschäftstüchtig dazu: Im „Singapore Government Shopfront“ vertreibt die Regierung nicht nur Statistiken und Marktforschungsstudien, sondern verkauft auch Videos und Weihnachtskarten, online zahlbar mit Geldkarte. Einheimische finden Hilfe bei der Arztsuche, online lassen sich Tagesmütter buchen, Kopien von Geburts- und Sterbeurkunden bestellen. Besonders weltbürgerfreundlich: Eine Arbeitserlaubnis können Ausländer auch im Internet beantragen.

In Deutschland sehen die Städte im Netz dagegen alt aus: Die meisten Angebote kommen über statische Tourismus- und Wirtschaftsinformationen nicht hinaus, stellt die Studie „Kommunen online“ der Universität Bremen fest. Immerhin: Schimpfende Bürger finden immer häufiger ein Forum für ihre Kritik, zum Beispiel auf den Internetseiten der Bremer Bürgerschaft. Die bisher überwiegenden „amtlichen Schaufenster“ sind für Franz-Reinhard Habbel vom Deutschen Städte- und Gemeindebund der erste Schritt. In weiteren Stufen entwickeln sich eine interaktive Televerwaltung, elektronischer Kommerz und Online-Gemeinschaften, an denen auch lokale Unternehmen beteiligt sind. Noch ein weiter Weg: „Von den 15.000 Kommunen haben rund 1000 eine Home Page“, schätzt Habbel. Für den Informatiker Herbert Kubicek von der Universität Bremen stehen Mannheim und Bremen dabei in führender Position. Den Bremer Bürgern flimmern nicht nur Amts-Adressen auf den Bildschirm, sondern auch umfangreiche Wegbeschreibungen inklusive Bahnverbindungen. Künftig sollen „acht Lebenslagen“ die Grundlage des Bremer Dienstes bilden, so Kubicek: „Geburt, Tod, Umzug, Hausbau, Studienbeginn, Autokauf, Arbeitgeberwechsel sowie Meldung von Unternehmensdaten“.

Mannheim ist heute schon interaktiver. Bücherfreunde und Hundebesitzer erfreuen sich an besonderem Internet-Service: Die Tiere lassen sich online anmelden, Rückgabefristen für Bücher der Stadtbücherei auf diesem Weg verlängern. Formulare, zum Beispiel zur Wohnungsummeldung, können ausgedruckt werden. Zum Amt geht’s dann jedoch auf herkömmlichem Fuß- oder Postweg – weil es an einer rechtsgültigen digitalen Unterschrift fehlt, so die Mannheimer. Hochfliegende Zukunftspläne entwirft das Bundesforschungsministerium: Dort träumt man vom „virtuellen Rathaus, das rund um die Uhr geöffnet ist“. Der Wettbewerb „Media@Komm“ will die Realität diesem Traumbild näher bringen. Die drei Gewinnerstädte teilen sich 60 Millionen DM „Siegerprämie“ für den „Bau“ des virtuellen Rathauses. Im November fällt die Entscheidung: Von 136 Ideen kamen zehn Kommunen in die engere Wahl. Darunter auch Leipzig. Die ostdeutsche Stadt hat jedoch ein Problem: Ihre elektronischen Diensteideen wie An- und Ummelden über das Internet sind bei derzeitiger Rechtslage nicht realisierbar. Noch ist zu prüfen, wo eine digitale Signatur persönliches Erscheinen und eigenhändige Unterschrift auf Papier ersetzen kann. Grund für die Daimler-Benz-Tochter debis ein Joint-Venture mit der Bundesdruckerei zu starten: Das Unternehmen entwickelte eine Chipkarte mit digital geprüfter Unterschrift, die bei elektronischen Verwaltungsakten im Internet den Personalausweis ersetzt. Sie sollen nicht nur Bürgerdienste über das Internet möglich machen, sondern auch den vielbeschworenen „E-Commerce“ endlich in Gang bringen. Ab 1999 vergeben einige Einwohnermeldeämter testweise die ersten Karten. Preis: 150 Mark, gültig für drei Jahre.

erschienen 1998 in SPIEGEL SPEZIAL